Lehrerinsel

Über uns   |   Newsletter   |   Autor werden   |   Kontakt   

Krisenjahr 1923: Deutschland vor 100 Jahren am Abgrund?

Gustav Stresemann
Gustav Stresemann wurde 1923 zum Reichskanzler

Inflation und rechtsextreme Umsturzgefahr. Bisweilen erinnern die Herausforderungen des Jahres 1923 an die Gegenwart. Dennoch überlebte die erste Demokratie auf deutschem Boden diese, wie der Schriftsteller Stefan Zweig sie nannte, „Tollhauszeit“, in der auch separatistische Bewegungen, politische Morde und die Ruhrbesetzung durch Frankreich und Belgien die Stabilität des Staates ins Wanken brachten.

Die Erforschung der Weimarer Republik

Die Standardwerke von Karl Dietrich Bracher und Heinrich August Winkler zur Geschichte der ersten deutschen Republik fragten nach den Faktoren des Scheiterns der Demokratie, der nach 14 Jahren die totalitäre Diktatur des Nationalsozialismus folgte. Analog zur Verschiebung dieses wissenschaftlichen Schwerpunktes seit Ende der 1990er-Jahre sollte auch der Schulunterricht die Weimarer Republik nicht nur als „Vorspiel“ (Volker Ullrich) des Nationalsozialismus behandelt werden. Die Bearbeitung des Krisenjahre s 1923 bietet sich deshalb besonders an, da die Demokratie ihre extremen Bedrohungen bewältigte und die Republik deshalb gerade nicht von Beginn an zum Scheitern verdammt war, sondern ihre eigene Zukunftsfähigkeit hatte.¹

Sekundarstufe II

Die Weimarer Republik

Geschichte betrifft uns Ausgabe 4/2020

Die Geschichte der Weimarer Republik von der Revolution 1918/19 bis zu ihrem Scheitern 1933. Prägnante Bilder, Quellen- und Sachtexte ermöglichen einen fundierten Zugang zum Thema.

Die Hyperinflation – ein nationales Trauma?

Die Analyse der Ursachen der Hyperinflation und die Erkenntnis, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern dieser Geldentwertung gehörte, erleichtert das Verständnis des aktuellen komplexen wirtschaftlichen Vorganges.

Tabelle für den Unterricht

Im Unterricht bieten sich für die Quellenanalyse Erfahrungen der Zeitgenossen aus Tagebüchern an (z.B. Victor Klemperer und August Heinrich von der Ohe).

Außerdem könnten die Gewinner und Verlierer der Inflationszeit mithilfe dieser Tabelle systematisiert werden. Im Unterricht müssen die SuS auf die Situation der Beamten und Angestellten mit festen Gehältern hingewiesen werden, die zu den großen Verlierern der Geldentwertung zählen. Dies gilt auch für das Bildungsbürgertum, das im nationalen Überschwang während des Krieges Staatsanleihen gezeichnet hatte, die nun wertlos wurden. Gerade die Mittelschicht konnte oft ihren Kindern Ausbildung und Studium nicht mehr finanzieren und erfuhren einen starken subjektiven Statusverlust.

Mittelfristig bereitete die Inflationserfahrung den Weg für Adolf Hitler. Die Bevölkerung schrieb die Verantwortung für die Hyperinflation den Weimarer Politikern und nicht den eigentlichen Verursachern aus dem Kaiserreich zu. Das Vertrauen in die politische und gesellschaftliche Ordnung ging verloren. Das Bürgertum erlebte eine große Verunsicherung. die es anfällig für Versprechungen einfacher Lösungen für komplexe Probleme machte. Die Suche nach Schuldigen für die galoppierende Inflation verstärkte antisemitische Tendenzen.

Politiker wie der Reichskanzler Brüning zogen aufgrund der Erfahrung von 1923 die falschen Schlüsse für die Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Er zog fatalerweise eine deflationsfördernde Sparpolitik einer nachfrageorientierten, antizyklischen Konjunkturpolitik vor. Auch langfristig scheint die massive Entwertung der Vermögen bei den Deutschen ein Trauma hinterlassen zu haben. Als aufgrund der Corona-Pandemie das Preisniveau anstieg, wurde immer wieder auf die Vorgänge des Jahres 1923 verwiesen. Auffallend ist, dass gerade in diesem Krisenjahr der Weimarer Republik die Kultur, einen ersten Höhepunkt erlebte.

Der Hitlerputsch

Dilettantisches Unternehmen eines Einzelgängers oder Hochverrat eines rechtsextremen Netzwerks? Hitler war 1923 noch völlig unbedeutend. In den Geschichtsbüchern findet sich allerdings oft eine Fokussierung auf die Person Hitlers bei der Darstellung der Geschehnisse des Novembers 1923. In der Geschichtswissenschaft werden die Aktionen mittlerweile als Teil weitreichender Umsturzpläne rechtsextremer Kreise betrachtet. Der Historiker Sven Kellerhof sieht Hitler sogar in einem „Wettlauf zum Hochverrat“. Diese Dynamik der Ereignisse hätte zu teils dilettantischem und unvorbereitetem Vorgehen geführt.

Das „Triumvirat“ um Generalstaatskommissar von Kahr, Oberst von Seißer und General von Lossow war bereit, die Demokratie zu beseitigen. Insbesondere Kahr schwebte eine Diktatur durch ein „Direktorium“ vor.

Der Prozess vor dem Landgericht München verdeutlichte, dass die rechte Gesinnung auch in den Reihen der staatlichen Funktionsträger weit verbreitet war. Der Mitverschwörer Ludendorff wurde vom Hochverrat freigesprochen, Hitler erhielt ein mildes Urteil, das „Triumvirat“ wurde erst gar nicht angeklagt.

Ist die Situation 1923 mit den Verhältnissen im Jahr 2023 vergleichbar?

Die wirtschaftliche Krise und insbesondere die Hyperinflation ist als weitaus krisenhafter als die heutige ökonomische Situation Deutschlands einzuschätzen. Einen offenen Marsch auf Berlin und Aufstände gegen das System fanden zwar ebenfalls nicht statt, allerdings erinnert das Netzwerk aus konservativen und rechtsextremen Kräften an die Verschwörung der Reichsbürger 2022.

Fragestellungen für den Unterricht

    1. Nennen Sie Gründe für die Hyperinflation 1923.
    2. Gewichten Sie die Belastungsfaktoren des Jahres 1923 nach dem Grad ihres Gefährdungspotentials für die junge Demokratie.
    3. Der Historiker Peter Longerich bezeichnet die Aussage, dass mit dem fehlgeschlagenen Putsch die Demokratie gerettet war als „Stabilitätsillusion“. Nehmen Sie Stellung zu dieser These.
    4. 1923 bedrohten Kommunisten und Rechtsextreme die Republik. Recherchieren Sie aktuelle Bedrohungslagen für das politische System und schätzen Sie das Gefährdungspotential ein.
    5. Beurteilen Sie, wie der Staat mit Feinden der „freiheitlichen-demokratischen Grundordnung“ umgehen sollte.

Aktuelle Literaturtipps von unserem Autor:

Hieß, Wolfgang: „Der Hitlerputsch 1923“. Geschichte eines Hochverrats, München 2023.
Ullrich, Volker: Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund, München 1923.

¹Quelle. Ullrich, Volker: Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund, München 1923, S.13.

Ausgaben passend zum Thema

Beiträge passend zum Thema

Anke Söller
Lehrerinsel-Autorin

… ist Gymnasiallehrerin für die Fächer Gemeinschaftskunde, Geschichte, Englisch und Wirtschaft in Baden-Württemberg.

Autorenbild
Timo Schuh
Lehrerinsel-Autor

… ist Gymnasiallehrer für die Fächer Gemeinschaftskunde, Geschichte, Latein, Psychologie und Wirtschaft in Baden-Württemberg.

Timo Schuh
Weitere interessante Beiträge
Medienbildung

Urheberrecht: Vom Recht am (eigenen) Bild

Fast jeder Jugendliche verfügt heutzutage über ein Smartphone mit einer integrierten Kamera, aber wie sieht es mit den Rechten am eigenen Bild aus? Was man als Lehrkraft wissen sollte. Mit Aufgaben für den Medienunterricht.

Weiterlesen »
Aktuelle Ausgaben des Bergmoser + Höller Verlags

Grundschule

Sekundarstufe I

Sekundarstufe II

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner