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Aufklärung und Suchtprävention im Unterricht

Aufklärung und Suchtprävention im Unterricht
Aufklärung und Suchtprävention im Unterricht

Herausforderung für Schulen durch die Cannabis-Legalisierung?

Es gibt wohl nur wenige Themen, die in den letzten Jahren wiederkehrend zu solch kontroversen Debatten geführt haben wie die Diskussion um eine Legalisierung von Cannabis. Für die einen ist Cannabis ein unterschätztes schmerzlinderndes Medikament oder eine “Freizeitdroge“, vergleichbar mit Alkohol oder Tabak, die jeder Erwachsene in eigener Verantwortung konsumieren könne. Für andere ist Cannabis eine insbesondere für Jugendliche gefährliche Einstiegsdroge und die Diskussion um die Legalisierung führe zu einer Verharmlosung von Cannabis, welches nachweislich zu schweren psychischen Erkrankungen führen kann.

Mit der geplanten Legalisierung in Deutschland und dem im Herbst 2022 veröffentlichten Eckpunkte-Papier des Gesundheitsministeriums kommt es zu einem Paradigmenwechsel in Deutschland zur vorherigen Drogenpolitik („Cannabis ist kein Brokkoli“). Insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist dabei das Interesse an dem Thema groß. So gaben 80 Prozent der 18- bis 29-Jährigen an, eine Legalisierung von Cannabisprodukten zu befürworten.

Die geplante Legalisierung und die damit verbundene mediale Aufmerksamkeit steigert auch das Interesse von Schülerinnen und Schülern an dem Thema und bringt es somit auch in die Schulen und den Unterricht. Gleichzeitig rückt damit auch die Suchtprävention und Aufklärung an den Schulen in den Vordergrund. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit der anstehenden Legalisierung von Cannabis in Deutschland und der damit verbundenen Präventionsarbeit in Schulen.

Tabuisierung ist keine Lösung

Die erste Frage, die viele Lehrkräfte und Schulen sich stellen, ist: Soll das Thema Cannabis überhaupt aktiv angesprochen werden? Viele fürchten in ein schlechtes Licht gerückt zu werden, wenn eine Schule oder eine Lehrkraft mit Cannabis assoziiert werden könnte. Doch die Tabuisierung eines Themas hat noch nie ein Problem gelöst, es führt nur zur Verbreitung von Gerüchten und Unwahrheiten unter den Jugendlichen.

Zudem sollte man sich bewusst machen, dass bereits heute Cannabis ein Teil der Realität von vielen Jugendlichen ist. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist Cannabis nach Alkohol und Tabak die häufigste konsumierte Droge in Deutschland. Bereits 10,4% der 12- bis 17-Jährigen und 46,4% aller 18- bis 25-Jährigen haben bereits mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis probiert.

Doch im Gegensatz zu Tabak und Alkohol, für welche es lange etablierte Aufklärungskampagnen gibt, sind die Präventionsmaßnahmen bei Cannabis noch nicht so erprobt.

Erfolgreiche Cannabisprävention - worauf kommt es an?

Ein bedeutender Pfeiler der Präventionsarbeit ist die Vorbereitung im Schulteam. Jede weiterführende Schule sollte strukturierte Leitfäden und Strategien bieten, auf die die Lehrkräfte zugreifen können. Diese ermöglichen bei Vorfällen von Cannabiskonsum den Rückgriff auf konkrete Handlungsschritte und einen offenen und einheitlichen Umgang im Kollegium bei schwierigen Situationen. Die sich daraus ableitenden Regeln und Sanktionen sollten verständlich und angemessen sein und neben Cannabis auch Alkohol und andere Substanzen mit einbeziehen.

Die Akzeptanz für die getroffenen Regeln zu erhöhen ist hierbei eine der wichtigsten Aufgaben für die Lehrer und Lehrerinnen. Im Unterricht kann beispielhaft über die Sinnhaftigkeit und Begründung der Regeln gesprochen werden. Dies kann in einem konkreten Rahmen bezüglich des Cannabiskonsums erfolgen oder aber auch in einem größeren Rahmen, in dem über den Zweck von Regeln und Sanktionen für das Funktionieren einer Gemeinschaft gesprochen wird.

Neben Sanktionen sollten allerdings auch immer entwicklungsfördernde Maßnahmen von den Lehrern und Lehrerinnen getroffen werden. Diese sollten individuell an die Schüler oder die Schülerin angepasst werden und ihnen helfen bei problematischen Entwicklungen und Lebenslagen. Das Alter der Jugendlichen bestimmt daneben maßgeblich die Ansprache sowie die getroffenen Maßnahmen. Bei volljährigen Schülerinnen und Schülern gelten dieselben Regeln und Sanktionen wie bei Minderjährigen. Allerdings sollten die Eltern nur nach Rücksprache mit den Jugendlichen kontaktiert werden.

Nachhaltigkeit als Schlüssel in der Prävention

Ein nachhaltiges System der Prävention, welches langfristig sowohl den Lehrkräften als auch den Jugendlichen zur Seite steht, sollte dauerhaft etabliert sein und das ganze Schulsystem involvieren. Dazu gehört es auch, dass bei schwierigen Fällen auch Lehrkräfte feste Ansprechpartner haben. Dies können speziell geschulte Vertrauenslehrer sein, Schulsozialarbeiter oder auch externe Fachkräfte, die schwierige festgefahrene Situationen auflösen können.

Einzelne Infoveranstaltungen nach Vorfällen haben dabei keine langfristige Wirkung. Für die Präventionsarbeit könnten in Jahrgangsstufen, in denen die Thematik relevant wird, Projekttage zum Thema Suchterkrankungen und Cannabis organisiert werden.

Unterstützung erhalten Lehrerinnen und Lehrer dabei zum Beispiel mit kostenlosem Material und Leitfäden von Schulministerien oder verschiedenen Vereinen, die sich dem Thema widmen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Experten der Suchtberatung oder auch Betroffene von Suchterkrankungen (z.B. von den Anonymen Alkoholikern) in die Schule einzuladen, die Gespräche mit den Schülern führen und neue Blickwinkel in der Diskussion bringen.

Zu wohl den kompliziertesten Momenten bei der Besprechung von Cannabis für Lehrkräfte könnte die Frage der Jugendlichen nach den eigenen Erfahrungen sein. Sollte man keine eigenen Erfahrungen mit Cannabis haben, könnte der Vorwurf lauten: „Man wisse überhaupt nicht, wovon man redet“ und dürfe sich damit auch kein Urteil erlauben. Allerdings sind eigene Erfahrungen nie objektiv, somit auch nicht entscheidend dafür, ob jemand sich mit einem Thema auskennt. Die Medizin und Wissenschaft bietet eine sehr gute Faktenlage von Wirkung und gesundheitlichen Risiken, um sich ein differenziertes Bild zu machen.

Solltet ihr zu den Lehrkräften gehören, die Erfahrungen mit Cannabis besitzen und darüber reden wollen, kann dies zu mehr Authentizität bei den Schülerinnen und Schülern führen. Allerdings solltet ihr als Vorbild-Person die Diskussion auch selbstkritisch führen und den Konsum hinterfragen. Cannabis ist weiterhin strafbar, weshalb ihr mit euren Aussagen auf einem schmalen Grat wandert. Ihr müsst dabei nicht alles erzählen, dennoch sollte das, was ihr mit euren Schülerinnen und Schülern teilt der Wahrheit entsprechen.

Was verändert sich durch die Legalisierung?

Grundsätzlich bleibt Cannabis an Schulen, angelehnt an die Regeln für Alkohol und Tabak, im Unterricht und auf dem Schulgelände verboten. Die Befürchtung, dass nach einer Legalisierung der Konsum der Jugendlichen steigt, wird aus Daten aus den Vereinigten Staaten widerlegt.

In den US-Bundesstaaten in denen bereits Cannabis legalisiert wurde, steigt zwar der Konsum von Erwachsenen, nicht aber bei Schülerinnen und Schülern. Dennoch werden Fragen für Schulen und Lehrkräfte auftreten, die im Vorfeld der Legalisierung zu klären sind. Dies betrifft zum Beispiel Klassenfahrten mit Teilnehmern/-innen die unter und über 18 Jahre alt sind.

Auch die Weitergabe von Cannabis von älteren Jugendlichen an Minderjährige ist ein potenzielles Problemfeld. Wann ist dies “nur“ ein Freundschaftsdienst unter Jugendlichen, wann Dealen, welches strenge Sanktionen und die Polizei erfordert? Nicht jeder Vorfall bedarf dabei die Einschaltung der Polizei, denn so wird der Kontakt als Lehrer zu den Jugendlichen erschwert. Die Hilfe zur Selbstreflexion und Aufklärung sollten in der Prävention ebenso berücksichtigt werden wie der Einsatz von Sanktionen.

Nicht stoffgebunde Suchterkrankungen

Die Präventionsarbeit in Schulen richtet sich klassischerweise an den sogenannten stoffgebundenen Suchterkrankungen aus. Zu diesen zählen Alkohol, Tabak, Cannabis und weitere Drogen. Hinzu kommen allerdings noch die nicht stoffgebundenen Erkrankungen. Eine große Schwierigkeit bei den nicht stoffgebundenen Suchterkrankungen ist die Erkennung eben jener als Lehrkraft.

Während zum Beispiel bei Alkohol die Nebenwirkungen des Konsums in Form eines Katers oder einer Alkoholfahne “vergleichsweise leicht“ festzustellen sind, ist dies zum Beispiel bei einer Internetsucht deutlich schwieriger. Sie stellen deshalb aber nicht weniger ein Problem für die schulische und persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler dar.

Zu den nicht stoffgebundenen Erkrankungen gehören z.B. ebenfalls Sport-, Kauf-, Handy-, Internet-, PC-, Spiele- (Gaming und Glücksspiel), Arbeits- und Esssucht dazu. Diese kurze Auflistung veranschaulicht bereits das große Spektrum der möglichen Herausforderungen. Ab wann ist ein Verhalten schädlich oder beeinträchtigt das Leben eines Jugendlichen negativ?

Eine Schülerin oder ein Schüler, welche/-r sechs Mal die Woche zum Sport geht, kann sich ebenso auf einen Wettbewerb vorbereiten oder seinen Traum als Leistungssportler/-in verfolgen, wie sich in einem schädlichen Maße von schwierigen Gefühlen ablenken. Der Substanzbezug in der Präventionsarbeit im Unterricht ist deshalb nicht der einzige Maßstab, der entscheidend ist. Der Erwerb von Lebenskompetenzen, den richtigen Umgang mit Stresssituationen sowie das Wissen um Hilfsangebote sind zentrale Bausteine, um bereits Kinder und später Jugendliche zu schützen.

Präventionsarbeit in den Schulen stärken

Noch gibt es viele offene Fragen und ungeklärte Einzelheiten bezüglich der Legalisierung von Cannabis in Deutschland. Auch ein Scheitern der Legalisierung ist aufgrund von rechtlichen Vorbehalten gegenüber dem europäischen und internationalen Recht noch nicht ausgeschlossen. Nichtsdestotrotz sollte das Thema Cannabis in der Suchtprävention an den Schulen verstärkt behandelt werden. Denn während der Konsum von Alkohol und Tabak bei Jugendlichen in den letzten Jahren rückgängig war, ist der Cannabis-Konsum gestiegen.

Suchterkrankungen und die Auseinandersetzung damit gehören zu unserer Gesellschaft dazu. Doch mit einer nachhaltigen und frühzeitigen Präventionsarbeit kann der Unterricht den Schülerinnen und Schülern die nötigen Kompetenzen und Selbstreflexion vermitteln, um verantwortungsbewusst mit dem Thema umzugehen. Haben Sie bereits Erfahrungen mit dem Thema Legalisierung von Cannabis im Unterricht gemacht? Erzählt uns gerne davon und schreibt uns eine Nachricht über das Kontaktformular. Wir freuen uns auf den Austausch mit euch.

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